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Eine der bedeutendsten Stelle im Neuen Testament ist für mich die, als Satan Jesus in der Wüste versuchte zur Sünde zu verführen (Matthäus 4, 1-11). Er versuchte es über seine Bedürfnisse nach Nahrung (Steine in Brot verwandeln), nach Hochmut (sich hinabstürzen von einem Tempel, ohne dass ihm dabei etwa passiert) und nach Macht (als er ihm die Welt übergeben wollte dafür, dass er ihn anbetete). Gerade die letzte Versuchung zeigt, wer der Herr dieser (materiellen) Welt ist: Satan selbst (und seine Gefolgschaft). Die Antwort von Jesus ist klar, indem er ihn darauf hinwies, dass man Gott allein dienen solle. Das Dienen ist also die vornehmste Art des Gottesdienstes. Auch an einer anderen Stelle wird auf das Dienen hingewiesen, als nämlich die Jünger in Streit darüber gerieten, wer von ihnen der größte sei. Jesus Antwort war, dass es derjenige sei, der den anderen diene (Matthäus, 20, 26-27). Dem Dienen als ein Modus des Verhaltens steht der des Herrschens diametral gegenüber. Er ist grundverschieden vom Dienen, geradezu damit unvereinbar. Dienen und Herrschen stehen in einem dualen Gegensatz gegenüber. Um die Unvereinbarkeit zu verstehen, muss man die zwei Arten der Zweiheit kennen: Polarität und Dualität (folgende Überlegungen wurden angeregt durch den Vortrag von Armin Risi: Der verbotene Baum im Garten Eden [1]. Polarität ist die gegensätzliche, sich aber ergänzende Zweiheit. Die konträren Pole stehen zudem auf einer Ebene der Gleichwertigkeit, d. h. dass der eine Gegensatzpol nicht mehr wert ist als der andere. Dunkelheit und Helligkeit, Kälte und Hitze sind polare Gegensätze, von denen man nicht sagen kann, dass z. B. die Helligkeit mehr Wert sei als die Dunkelheit: beide haben ihre Vorzüge und Nachteile, sie sind gleichwertig. Ein wichtiger Aspekt kommt noch hinzu: Weil sie gleichwertig sind, liegen sie gewissermaßen auf einer Dimension und haben deshalb fließende Übergänge, denn es gibt z. B. so etwas wie Halbdunkelheit oder Dämmerung als Zwischenstufen. Bei der Dualität als der anderen Art der Zweiheit ist dies ganz anders. Duale Gegensätze sind miteinander unvereinbar, sie schließen sich gegenseitig aus. Deshalb gibt es auch keine fließenden Übergänge. Und sie haben eine unterschiedliche Wertigkeit. Krieg und Frieden sind unvereinbar, es gibt keine fließenden Übergänge und der Frieden ist doch wohl wertvoller als der Krieg. Das Dienen oder das Herrschen sind duale Gegensätze, sie schließen sich gegenseitig aus: entweder man dient einem anderen oder man herrscht über andere.
Polarität |
Dualität |
gleichwertige Gegensätze |
nicht gleichwertige Gegensätze |
Gegensätze
ergänzen sich |
Gegensätze schließen sich aus |
gleiche Dimension |
verschiedene Dimensionen |
Fließende Übergänge |
Hartes: Entweder – oder |
Folgt man dem, was Jesus darüber sagt, dann ist das Dienen wertvoller (in Gottes Augen) als das Herrschen. Warum ist das so? Das Herrschen hat drei wichtige Aspekte: Der erste ist ein eher innerer, denn er betrifft das Gefühl der Mächtigkeit, der Unabhängigkeit von anderen. Wer herrscht, braucht sich nicht nach anderen richten. Er ist sein eigener Herr. Der zweite Aspekt betrifft die Außenwirkung, denn wer mächtig ist, kann seinen Willen anderen Menschen aufzwingen, kann erreichen, dass sie das tun, was er selbst will. Er ist Herr über die Möglichkeit, das Verhalten anderer zu sanktionieren, nämlich durch loben („Zuckerbrot“) oder strafen („Peitsche“), je nachdem was er von anderen erwartet. Der dritte Aspekt ist der, dass jeder Herrscher das Bedürfnis hat, von anderen verehrt zu werden. Das war auch Inhalt der dritten satanischen Versuchung. Satan wollte, dass Jesus ihn anbeten solle. Anbeten ist eine Form der Huldigung einer höherstehenden Person, bei der sich diese erhaben fühlt und abgehoben von den anderen, die er beherrscht. Bei dem Dienen ist es umgekehrt. Wer anderen dient, der macht sich nicht zum eigenen Herrn über sein Leben, sondern erkennt an, dass sein Leben nur durch das sich in den Dienst stellen für einen anderen Sinn ergibt. Es geht sogar so weit, dass der Mensch in der Empfehlung von Jesus sich damit einverstanden erklären solle, dass Gottes Wille geschehe und nicht der eigene, was aus dem „Vaterunser“ ganz klar hervorgeht. Wie viele Christen beten diese Stelle gedankenlos, ohne sich klar zu machen, was dies tatsächlich bedeutet: Den eigenen Willen aufgeben zu Gunsten des Willens Gottes. Jesus hatte dies auch vorgelebt, in dem er seine Gefangennahme und seinen Tot in Kauf genommen hatte, weil er nicht gegen den Willen Gottes („Abba“) verstoßen wollte. Dies klingt für viele wie eine Zumutung. Aber die Volksweisheit „der Mensch denkt, Gott lenkt“ deutet darauf hin, dass unser Denken nur eine beschränkte Einflussmöglichkeit auf unser Leben hat. Gott billigt man einen „besseren Überblick“ zu, dass er besser weiß, was für den Menschen gut ist. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es war oft gut, dass nicht immer meine Wünsche in Erfüllung gegangen sind, sondern es oftmals gegen meinen Willen zu laufen schien. Aber es hatte sich oft im Nachhinein als gut erwiesen, dass meine Absichten sich nicht erfüllt hatten. Der zweite Aspekt des Dienens steht dem des Herrschens auch diametral gegenüber: Während der Herrschende seinen Willen anderen aufzwingen will, gibt der Dienende keine Befehle, kontrolliert nicht andere, sondern in dem er dient, richtet sich seine Intention auf das, was für den, dem er dient, nützlich und gut ist. Seine Begehrlichkeit steht nicht im Mittelpunkt, sondern das, was für den anderen gut ist. Auch das ist schwer verdauliche Kost, sind wir es doch eher gewohnt zu versuchen, eher unseren Willen durchzusetzen und nicht uns nach dem zu richten, was andere wünschen. Nicht jede Willfährigkeit in dem Erfüllen der Wünsche des anderen ist damit gemeint, sondern das Bemühen des Dienenden richtet sich nach dem, was für das Wohlergehen des anderen, seine Entwicklung förderlich ist. Eine Mutter, die eine gute Entwicklung ihrer Kinder im Auge hat, wird nicht den Kindern dadurch dienen wollen, dass sie diesen alle Mühseligkeiten des Lebens abnimmt, sondern sie wird ihr Augenmerk darauf lenken, wie sie deren Entwicklung zu autonomen, aber auch moralisch wertvollen Menschen durch ihren Dienst fördern kann. Der dritte Aspekt des Dienens unterscheidet sich auch von dem des Herrschens, denn während der Herrschende die Bewunderung seiner Umgebung einheimsen will, liegt dies nicht im Interesse des Dienenden. Ihm reicht es, wenn er weiß, dass durch sein Dienen er einen förderlichen Einfluss auf seine Umwelt ausübt, benötigt hierfür keine Bewunderungsbekundungen. Er will nicht im Rampenlicht stehen und den Applaus des Publikums einheimsen, sondern ihm reicht die Rückmeldung, dass er durch seine Handlungen etwas Positives bewirkt hat, auch wenn dies nicht lobend erwähnt wird.
Wie sieht nun die Praxis aus? Wenn wir uns in der Gesellschaft umsehen, dann können wir doch leider feststellen, dass diejenigen, die Herrschaft ausüben, nicht immer moralisch die besseren Menschen sind. Sie dienen nicht anderen, sondern lassen sich lieber bedienen, stellen ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt, anstatt sich zu überlegen, wie sie ihre Fähigkeiten so einsetzen, dass andere etwas davon haben und sich die Gesellschaft weiter entwickelt. Sie wollen vor allem auch bewundert oder bestaunt werden, wollen, dass ihre Werke als besonders wichtig angesehen werden, obwohl sie bei Lichte besehen doch nur ihrem eigenen Ego dienen. Esther Vilar hat in ihrem Buch „Der betörende Glanz der Dummheit“ die Dummheit so definiert, dass sie diese als die Summe der Phantasielosigkeit gepaart mit mangelndem Einfühlungsvermögen darstellt. Kurzum: diejenigen, die keine Vorstellungsfähigkeiten besitzen darüber, wie eine Sache sich weiter entwickeln könnte, sei es im Bereich der Technik, der Medizin oder auf einem anderen Gebiet der Gesellschaft und völlig unsensibel sind gegenüber den Gefühlen und Bedürfnissen anderer Menschen, dickfällig über deren Probleme hinweggehen, sie sogar verletzen, kommen in unserer Gesellschaft weiter voran, weil sie keine Skrupel haben, trotz offensichtlichem Versagen weiter zu machen. „Denn der Klügere gibt nach, der Dumme macht weiter“, lautet einer ihrer Kernaussagen. Der unsensible, selbstverliebte Streber (nach Herrschaft) „geht über Leichen“. Ihn kümmert es nicht, dass auf dem Weg nach oben andere zu Schaden kommen, dass er durch seine Ellenbogenmentalität andere zur Seite stößt und diese liegen bleiben. Er sieht nur seinen eigenen Nutzen, seinen eigenen Erfolg, sein eigenes Fortkommen. Während der Sensible, Vorsichtige, Skrupel hat, Entscheidungen zu treffen, weil sie vielleicht anderen schaden könnten, geht der unsensible, nach Herrschaft drängende Mensch über diese Bedenken hinweg. Diese Skrupellosigkeit zeigt auch noch eine andere Eigenschaft des Herrschens auf: Sie führt zu einer Art Sucht. Man spricht nicht umsonst von Herrschsucht. Wer einmal geherrscht hat, kann nicht mehr davon loslassen, er scheint von diesem Modus des Verhaltens geradezu besessen zu sein. Und ein weiterer Aspekt tritt zutage: Der Herrschende muss nicht unbedingt destruktiv wirken, aber wenn die Zerstörung eine Folge seines Handels ist, macht ihm dies keine Gewissensnot. Es gibt sicher auch Herrschende, die direkt in ihrer Absicht die Zerstörung im Auge haben. Der Dienende steht mit seinem Tun wiederum diametral der Herrschsucht und der Zerstörungswut gegenüber, denn in dem Dienen liegt keine Absicht zugrunde, dem anderen den eigenen Willen aufzuzwingen. Wenn der Dienende meint, der andere verhalte sich zum eigenen oder fremden Schaden, dann wird er ihn darauf hinweisen, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Der Dienende hat auch keine Freude am Zerstören, sondern am Aufbauen und Erhalten. Er will ja die Welt positiv verändern und das geschieht durch ein Verhalten, bei dem etwas Neues entsteht, also durch eine kreative Kraft die Welt in Richtung Vollkommenheit verbessert wird. Er wird auch versuchen, wenn er schon nichts erschaffen kann, doch die guten Dinge zu erhalten; er hat somit eine etwas konservative Triebfeder: Das was gut ist und sich bewährt hat, soll erhalten bleiben.
Dienen Herrschen |
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Dasein auf andere bezogen Unabhängigkeit von anderen |
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Anderen dienlich sein und weiterhelfen Anderen den eigenen Willen aufzwingen |
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Wissen um dienlichen Einfluss Verehrt und bewundert werden wollen |
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Anderen nicht eigenen Willen aufzwingen Neigung zu Herrschsucht |
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Aufbau und Erhalt Neigung zur Zerstörung |
Wie aufgezeigt wurde, ist das Dienen eine dem Göttlichen eher zugeneigte Verhaltensweise, da sie in ihrem defensiven Charakter immer den Respekt gegenüber dem Andersdenkenden und Andershandelnden zollt und eine kreative oder bewahrende Funktion erfüllt. Das Herrschen scheint einer satanischen Agenda zu folgen, da sie die eigene Person in den Mittelpunkt stellt, um den sich alles zu drehen hat. Diese Egozentrik ist ein Hauptmerkmal von narzisstischen oder gar psychopathischen Persönlichkeiten. Diese wollen immer dabei ihren eigenen Willen durchsetzen –koste es was es wolle. Der Herrschaftsanspruch wird im schlimmsten Fall zur Sucht und Manie, die den Herrschenden ständig antreibt, ohne Einhaltung moralischer Grenzen, die eigenen Ziele durchzusetzen, wobei die Destruktivität nicht primär beabsichtigt sein muss, bei der aber die Zerstörung von allem Lebendigem billigend in Kauf genommen wird. Das Böse ist nach Aussagen von Mephisto in dem Drama „Faust“ von Wolfgang von Goethe eben diese Kraft, die stets verneint und will, dass alles zugrunde geht und am liebsten nichts entstehen lassen würde [2]. Dies ist der Ausfluss der satanischen Herrschaft in Reinkultur.
© Günther Birkenstock